Jagd nach dem #Purpose

Pacholke lehnte sich eindringlich auf das Rednerpult und schaute mit einer genüsslich zelebrierten Kunstpause bedeutsam ins Publikum. „Es geht nicht mehr ausschließlich um Rendite, meine Damen und Herren, es geht vielmehr um Purpose, um Sinn für unser wichtigstes Kapital im Wandel der digitalen Transformation, die neue Generation von hochperformanten Mitarbeitern! Sie alle, besonders aber die Generation K, sind mittlerweile auf der Maslow'schen Pyramide ganz oben angelangt! Dienstwagen, Boni und lebenslange Arbeitsplatzgarantie waren gestern, heute geht es um Selbstverwirklichung und Sinnstiftung. Das, meine Damen und Herren, sind unsere Herausforderungen im War for Talents und dem digitalen Wandel!“

Mit tosendem Beifall erhob sich die erste Reihe des Auditoriums spontan, dort, wo die mittlere Führungsriege der Tunicht&Gut GmbH bei jeder Betriebsversammlung angesiedelt war. Dahinter kamen streng hierarchisch die „Möchtegern-Chefs“, wie Schulze sie nannte, die Abteilungs- und Bereichsleiter, die gerne einmal in die Fußstapfen der Großkopferten treten würden und jeden Preis dafür zu zahlen bereit waren. Erst dahinter versammelte sich der Plebs, das einfache Fußvolk und diejenigen, die zu spät gekommen waren.

Schulze und Marketing-Kollege Leskovec hatten sich zentral, jedoch weit außen positioniert, um den Saal im Anschluss zügig verlassen zu können. Auf dem Rückweg zum Büro rätselten die beiden Freunde, was genau Pacholke der etablierten Mannschaft als Botschaft mit auf den Weg geben wollte. Wurden sie jetzt alle zu Sinnsucher? Mussten sie nun alle auf die Couch, um unter Einfluss von Räucherstäbchen und esoterischen Klängen den Sinn der Organisation auszugraben? Wie hatte Management-Guru Reinhard Sprenger so trefflich gesagt, „Es reicht nicht mehr, das Leben der Menschen mit Produkten und Dienstleistungen zu verbessern oder zu verschönern….überall wimmelt es von grotesk überdehnten Bekenntnissen zum Gemeinwohl, zur Ökologie, zur Menschlichkeit, zur gesellschaftlichen Verantwortung. Konkretisierung ist dabei nicht zu befürchten.“

Ja, so kam es den beiden Freunden auch so manches mal vor, dass dieses Purpose-Gequatsche, wie so vieles im Kern Sinnvolle, zu einer weiteren Managementmode verkam, eben dadurch das Firmen sich nun zur Sinnverordnung berufen sahen und damit den ursprünglichen Zweck der WHY-Suche meilenweit verfehlten. Die Suche nach dem Sinn oder dem WHY war bereits im Jahre 2009 durch Simon Sineks Golden Circle populär geworden und mit prominenten Beispielen wie Google oder Apple zum erstrebenswerten und vor allem erfolgsversprechenden Allgemeingut gemacht worden. Seither fühlte sich jeder Schrotthändler berufen, vor seinem eigentlichen Unternehmenszweck, nämlich Kundennutzen zu stiften und damit verbunden langfristig positive Erträge zu erwirtschaften, zunächst einmal den Golden Circle aufzuzeichnen und tiefgründig nach einem persönlichen und unternehmerischen WARUM zu forschen, zur Not auch  mit Hilfe von prädestinierten Beratern, die selbstverständlich diese neumodischen Selbstfindungstrips vieler Firmen trefflich auszuschlachten vermochten, nur um schlicht ihrem eigenen Renditeziel näher zu kommen.

Selbstredend, dass die aufwendig erdachten Purpose Statements der Firmen kurz, knackig und in Englisch verfasst sein mussten, selbst wenn die Hälfte des Unternehmens sich eher im biederen Schwäbisch denn im kalifornisch gefärbten Englisch zuhause fühlten.

Nun, zumindest konnten sich die „Smart Creatives“ der Generation Y oder K wohl aufgehoben fühlen, um dem hysterisch rote Teppiche ausrollenden Unternehmen bei der nächst besten Gelegenheit dann wieder den Rücken zu kehren.

„Warum gleich immer von allem zu viel?“ dachte Schulze laut. Warum stattdessen nicht einfach mal die Großwortruine Kundenorientierung mit echtem Inhalt füllen?

Die Tendenz zum Extremen schien eine urmenschliche Eigenschaft zu sein, da polare Positionen eben nun mal unsere Aufmerksamkeit erregten. Die Modestia, die Maßhaltigkeit hingegen, war für die meisten Zeitgenossen eher eine langweilige Disziplin und daher nur wenigen echten Sinnsuchern vorbehalten.

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