Der schmale Grat zwischen Game Changer und DADA

Es war eine gelungene Abwechslung, der Ausflug mit Kollegen zum Jazz-Festival in die benachbarte Kleinstadt. Renommierte Jazzer aus aller Welt waren angereist und Schulze, der seit Jahrzenten selbst passionierter Saxofonist in kleineren Combos war, hatte sich richtig auf den Event gefreut. Al di Meola, John Scofield, Pat Metheny, Keith Jarrett, Till Brönner und andere Jazz-Größen gaben sich hier die Klinke in die Hand und ließen Schulzes Herz höher schlagen. Auf dem Heimweg dachte Schulze an die Worte des Innovationsberaters Dürrenstein, der die Tunicht&Gut GmbH seit geraumer Zeit mit Innovations- und Ideationworkshops begleitete. Dort waren immer wieder die Begriffe kreative Revolution und Disruptive Thinking des deutschen Zukunftsdenkers Bernhard von Mutius gefallen und Dürrenstein hatte seinen Zuhörern stets glaubhaft machen wollen, dass es in der Zukunft um Experimentierfreude, Musterbrüche und Mut zum Umgang mit Widersprüchen ginge und das sich die Unternehmer und Manager dabei durchaus Anleihe bei den Kreativen, bei den Künstlern und Jazzern nehmen sollten, die ein hohes Maß an Improvisationsvermögen mitbrächten und damit stets Neues und Unvorhergesehenes kreierten. Dagegen sollten Begriffe wie Planung, Systeme und methodisches Vorgehen doch eher aus dem Mindset agiler Manager verdammt werden, gehörten sie doch der bereits disruptierten und überholten Old Economy an. Diese Analogie war dem erfahrenen Hobby-Jazzer Schulze dann doch etwas zu weit hergeholt. Gute Jazzer waren Improvisationstalente, ja zweifelllos, aber folgten sie nicht auch den Prinzipien und Systemen der Musik? „Voll und ganz“ schlussfolgerte Schulze laut vor sich hin, denn jedem Sachkundigen war bewusst, dass Jazzer genauso im Rahmen von Kadenzen, Kirchentonarten sowie der allgemein anerkannten Harmonielehre agierten, eben nur etwas flexibler, virtuoser und kreativer als so manch minderbemittelter Saitenakrobat. „Deshalb spielt doch nicht jeder Jazz-Musiker in einer beliebigen Tonart, in einem selbst gewählten Tempo oder überlegt sich kurz vor dem Gig ein neues Tuning“ ereiferte sich Schulze im Selbstgespräch, während er bei fahlem Straßenlaternenlicht auf sein Domizil zusteuerte.

Konnte es nicht sein, dass hier Begriffe wie Agilität und Kreativität als Feigenblätter für stümperhaftes Chaotentum missbraucht wurden? Wo waren denn die zählbaren Ergebnisse, der  so zahlreichen, selbsternannten „smart creatives”, die sich wie Dadaisten gegen jede Form von Prozess und Vorgabe auflehnten? Aber mit welchem Ziel? Wie genau nutzten diese Disruptions-Scharlatane denn eigentlich ihre neu erkämpften Freiräume? Mit Thesen wie „Anything goes” oder „heitere Anarchie und Opportunismus” hatte der Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend provokativ in den 1970er Jahren zur Orientierung am Dadaismus aufgefordert, um Innovationen zu schaffen. Für Schulze war es eine echte Herausforderung, solche Gedankenspiele auszuhalten, die zunehmend auch in der Tunicht&Gut GmbH salonfähig wurden. Schulze kamen die Führungsprinzipien von Boris Grundl aus seinem Bestseller ”„Leading simple” in der Sinn. Darin hatte jener auf treffliche Art und Weise für die Schaffung lernender Systeme plädiert, die keinesfalls mit starren Regeln, die oftmals um ihrer selbst Willen geschaffen waren, verwechselt werden durften. Lernende, flexible Systeme waren einzig auf die Erzielung von Ergebnissen ausgerichtet und gehörten Grundls Ansicht nach zu den Kernaufgaben guter Leader. Sie mussten verblüffend einfach sein und damit für jeden verständlich und reproduzierbar sowie multiplizierbar. Dazu boten solche Systeme Orientierung, eben wie die Harmonielehre für die (guten) Jazzer in der Jamsession. Zudem schafften solche Systeme Beständigkeit, die zentrale Voraussetzung für eine garantierte Minimalleistung, die wiederum Voraussetzung für den wichtigsten Erfolgsrohstoff, das Kundenvertrauen war.  Und welches Unternehmen arbeitete nicht hart daran, das langfristige Vertrauen von Kunden zu gewinnen? Schulze spürte eine versöhnliche Stimmigkeit in seinen Gedanken und drehte den Haustürschlüssel um.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Kontakt

Dr.-Ing. Michael Metzele als Speaker buchen:

Telefon: 0160 92786803

info@qualitaetsprophet.de

Blog

Die Irrfahrten des Prozesseus

Erzählungen eines Abenteurers von den unberechenbaren Mysterien des Qualitätsmanagements.