Im Wahn des Cargo-Kults

Es sollte ein Festakt werden, die Neueröffnung des ersten Inkubators der Tunicht&Gut GmbH im Glanze der Bundeshauptstadt.

Schulze durfte das ganze von zuhause aus im Netz verfolgen, denn Leute wie er sollten die Freude der geladenen Agilitätsfürsten nicht im geringsten eintrüben.

Auf einem Monitor konnten Schulze und seine QM-Kollegen die Einweihungsparty ihres Innolabs mitverfolgen und der nasalen Stimme ihres Geschäftsführers Pacholke lauschen.

„Heute beginnt eine neue Ära für uns! Willkommen im VUKA Zeitalter! Die Disruption ist an diesem Ort spürbar und die Atmosphäre dieses Coworking Spaces wird uns völlig neue Horizonte eröffnen! Spürt den Gründergeist und habt Mut die alten Welten einzureißen und Neues zu erschaffen!” krächzte Pacholke pathetisch ins Mikro, zu diesem Anlass extra in Jeans und lässiges Leinenhemd statt in Anzug und Krawatte gekleidet.

Der Inkubator befand sich in einem hippen Backsteinbau mit Zugang von der Innenhofseite und verfügte zusätzlich über eine unscheinbare angrenzende Garage.

„Natürlich, eine Garage” ätzte Schulze, „jetzt spielen wir mit Google, Apple und Walt Disney in einer Liga und die Innovationen werden nur so sprudeln.” In Schulzes Wahrnehmung war dies ein klassischer Fall von Cargo Kult. So wie die Einheimischen Anfang des 20ten Jahrhunderts auf den Inseln Melanesiens mit holzgeschnitzten Kopfhörern auf hölzernen Towern hockten und ihre Ahnen anbeteten, in der Hoffnung es werden daraufhin Metallvögel mit Nahrungsmittel einfliegen. In der selben Weise schien man bei den Firmen neuerdings zu glauben, eine abgelegte Krawatte, der obligatorische Besuch im Valley mit Jeans und Turnschuhen sowie die Eröffnung einer Garage werde Innovationen regnen lassen. Welch ein Blödsinn! Und nun musste Schulze mit ansehen, wie Pacholke und die anderen Valley-Jünger diesem kruden Phänomen in besonderer Weise erlagen. „Die besten Ideen hat man doch bekanntlich unter der Dusche”, witzelte Schulze und schlug spöttisch vor, „Lasst uns doch zusätzlich Duschen in der Inno-Garage installieren, dann sind den bahnbrechenden Erfolgen unserer Techies keine Grenzen gesetzt!” Wenigstens erntete er noch schallendes Gelächter in der Old Economy World, die sein Chef lieber heute als morgen hinter sich lassen würde. Eine bitterer Beigeschmack breitete sich in Schulze aus. War nicht auch die gesamte Lean-Management Bewegung sowie die Jagd nach dem Total Quality Management getränkt von diversen Formen des Cargo-Kults? Achteten die meisten Entscheider nicht auch dort bei der Einführung nur auf Vordergründiges und Äußerlichkeiten und übersahen dabei den wesentlichen Kern, das Wirkungselixier, wie Schulze es nannte? Schulze dachte nach. Auch die absurde Vorstellung mancher Manager, das ein Unternehmen alleine durch die Erlangung eines QM-ISO-Zertifikats zu einer Exzellenzoase mutierte, war grotesk und eine weitere Cargo-Kult-Variante. Nun musste man den Eingeborenen der melanesischen Inseln zu Gute halten, dass sie weder über Internet noch über akademische Ausbildungen verfügten, so dass die modernen Formen des Cargo-Kults in Schulzes Augen als noch rückständiger gedeutet werden mussten.

Vielleicht war es aber auch lediglich eine gesunde Prise Neid und Frust über seine persönliche Ausgrenzung, die Schulze zu solch destruktiven Gefühlswallungen verleitete….

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