Die Problem Solving Lüge

Schulze saß vor seinem Rechner und betrachtete nachdenklich den jüngsten Kennzahlenreport der Produktion.

20% Wiederholfehlerquote, Respekt, das war wirklich beachtlich! Zudem ein steil progressiver Verlauf der Anzahl an Problemmeldungen in den verschiedenen Fachbereichen, von der viel zu langen Problemlösungsdauer einmal ganz abgesehen.

Schulze fragte sich, warum es den gut ausgebildeten Experten der Tunicht&Gut GmbH so schwer fiel, eine effektive und wirksame Problemlösungskultur zu etablieren. Warum lebte man mit all diesen Unzulänglichkeiten und Verschwendungen Tag für Tag? Schnell kam Schulze zu dem Schluss, das es ganz offenbar weniger am mangelnden Methodenwissen, sondern vor allem am richtigen Mindset mangelte. Oberflächlich wurden die Symptome kuriert, da man für systematische Fehlerbehebung weder gelobt, noch bezahlt wurde. Hier zählten vor allem Stückzahlen und kurzfristige Erfolge. "Pyrrhus-Siege" ätzte Schulze gerne, interessierte sich aber sehr wohl für die Mechanik, das psychologische Muster dahinter.

Er selbst war von einer Problemlösungsmethodik fasziniert, die Ende der 1950er Jahre von den beiden Amerikanern Charles Kepner und Benjamin Tregoe entwickelt wurde und als Kepner-Tregoe-Methode, später in der Automobilindustrie als Global 8D-Problemlösemethode durch Ford bekannt wurde. Dabei ging es um eine neue Art von Denken, um Probleme ganzheitlich zu lösen. Eine zentrale Regel dieser Methodik lautete, dass das anfängliche Ziel der Problemlösung nicht darin bestehe, die Lösung des Problems anzugehen, sondern unsinnige Maßnahmen, also blinden Aktionismus zu verhindern. "Eine sehr weise Regel" dachte Schulze, der aus seinem Alltag nur allzu oft das Gegenteil erfahren musste. Da überboten sich die Protagonisten gegenseitig mit unsinnigen, aber publikumswirksamen Hauruck-Aktionen und machten vieles damit nur noch schlimmer.

Eine weitere zentrale Regel der Kepner-Tregoe-Methode besagte, dass der Erfolg der Methode ganz wesentlich von kluger Datenfilterung und nicht von blindwütiger und zielloser Massendatenansammlung abhing. Ein wichtiger Punkt, da die Komplexität der Problemanalyse nun mal exponentiell mit der Datenmenge wuchs. Big Data musste also richtig verstanden werden.

Schulze erinnerte sich an so manchen Problemlöseworkshop, wo das Team sich in voreiligen Schlussfolgerungen ergangen hatte, ohne zunächst alle Zahlen, Daten und Fakten sorgfältig aufzubereiten und mit den verfügbaren Werkzeugen zu clustern und zu analysieren. Ihm war klar geworden, das die Kardinalfehler bereits bei der Definition des Problems begangen wurden. Hier existierte offenbar keine Sensibilität, zwischen Symptom und Problem zu unterscheiden. Eine Klippe, die man mit Hilfe der 5W-Technik durchaus leicht umschiffen konnte. Schulze brachte in diesem Zusammenhang gerne folgendes Beispiel in seinen Workshops: "Stellen Sie sich vor, Sie kommen am Sonntagmorgen halbverschlafen die Treppe herunter und bevor Sie das Untergeschoß erreichen, stehen Sie auf der letzten Treppenstufe mit beiden Füßen im Wasser. Definieren Sie bitte Symptom und Problem"

Während  ein Großteil der Teilnehmer darauf noch sehr intuitiv das Symptom, nämlich die nassen Füße und den Wasserschaden benennen konnte, gerieten sie bei der Definition des eigentlichen Problems für gewöhnlich ins Stocken. Durch die Anwendung der simplen Warum-Fragetechnik leuchtete allen ein, dass die Frage "Warum steht das Wasser bis zur ersten Treppenstufe?" nicht mehr eindeutig zu beantworten war, da sowohl ein Rohrbruch innerhalb, als auch ein Hochwasser außerhalb des Hauses mögliche Antworten auf die gestellte Frage sein konnten. Eine vorschnelle Reaktion, beispielsweise einfach die Türe zu öffnen, um den Wasserablauf zu ermöglichen, konnte also durchaus kontraproduktiv sein. In diesem Beispiel waren Symptom und Problem definitionsgleich. Gab es dagegen faktenbasierte, eindeutige Antworten auf die Warum-Frage, waren Symptom und Problem verschieden und die Problemdefinition erst dann möglich, wenn zu diesem Zeitpunkt keine eindeutige Antwort auf ein weiteres Warum gegeben werden konnte.

Schulze liebte diese Momente, bei denen selbst kritischsten Teilnehmern ein Licht aufging und sie die bestechende Logik der Kepner-Tregoe-Methode erahnten.

Schulze hatte über die Jahre gelernt, dass der Erfolg jeder Problemlösung signifikant von der Qualität der Daten abhing, anders formuliert der SISO-Logik folgten, shit in, shit out. Darin unterschied sich auch die wieder in Mode gekommene Künstliche Intelligenz mit Ihrem maschinellen Lernen nicht wesentlich. Auch für deren Algorithmen war immer noch die Qualität der Trainingsdaten von entscheidender Bedeutung und konnte bei schlechter Konditionierung ebenso gut in die Irre führen, wie zahlreiche Beispiele belegten. Hier war nun wiederum der Mensch gefragt, der das richtige Mindset haben musste, um die Verfügbarkeit von unverfälschten Daten vorzusehen und zum richtigen Zeitpunkt transparent und ohne Hintergedanken einzusteuern. Eine große Herausforderung, denn Schulze wusste aus eigenen Erfahrungen nur zu gut, dass Partikularinteressen und Machtspiele oftmals die Fokussierung auf eine sachliche Problemlösung verhinderten, da sich im Nebel leider viel zu oft kurzzeitige Erfolge feiern ließen....

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Kommentare: 1
  • #1

    Jörg Schacht (Sonntag, 16 Januar 2022 18:42)

    Vielleicht habe ich ja ihren Artikel vollkommen falsch verstanden.
    Aber bei KT wird eigentlich nie diese allgemeine Frage nach dem Warum gestellt.
    Ich kenne diese Methode jetzt seit 1991 und muss sagen, dass ich immer wieder sehr gute Erfolge damit hatte. Das größte Problem war und ist immer noch, dass die Beteiligten keine sinnvollen Informationen beisteuern können. Denn aus "war dann kaputt" kann ich nun wirklich keine hilfreichen Schlüsse ziehen.
    Gerne können wir darüber reden. Meine E-Mail Adresse für eine kontaktaufnahme lautet:
    joerg.schacht@i-q.de
    Und gerne können Sie sich auch meine Internetseiten ansehen: www.i-q.de
    Herzlichen Gruß - Jörg Schacht

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