Angst vor New Work ?

Die Irrfahren des Prozesseus

Der Vorstand der Tunicht&Gut GmbH hatte sich zum 75jährigen Firmenbestehen etwas ganz besonderes ausgedacht und zu einem öffentlichen Diskurs zum Thema „New Work“ eingeladen. Neben der Belegschaft waren strikt paritätisch handverlesene Regionalvertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie renommierte Experten und gemäßigte Journalisten geladen. Pacholke hatte die Veranstaltung erwartungsgemäß mit einer würdevollen, ja nahezu staatsmännischen Rede eröffnet, und nun reihten sich die Lamettaträger mit mehr oder minder gehaltvollen Beiträgen in den Vortragsmarathon ein, um auch dem letzten "Tunichtgutianer" den unaufhaltsamen Wandel der Zeit und seine Konsequenzen in die Gehörgänge zu posaunen.

 

Schulze und sein Mitarbeiter Hugenschmidt schmückten mal wieder die hintere Reihe des Plenarsaals aus und wunderten sich über die eigenwilligen Interpretationen des gar nicht mehr so neuen Begriffs New Work. Die Idee des New Work hatte ein gewisser Frithjof Bergmann, ein amerikanischer Philosoph in der 80er Jahren in  die Welt gesetzt  und mit seinem humanistischen Plädoyer vor allem die drei Grundgedanken Rückbau der Lohnarbeit, Hightech-Selbstversorgung und das Calling, die Berufung zu einer „Arbeit, die man wirklich, wirklich tun will“ im Sinn. Allerdings waren die neuzeitlichen, eher oberflächlichen Debatten wie so oft nur von einzelnen Facetten dieses im Kern Kapitalismus-kritischen Ansatzes gekennzeichnet und man beschränkte sich nur allzu gerne auf die organisatorischen und technischen Veränderungen in den Unternehmen. Ganzheitliche und tiefgedachte Ansätze waren in Schulzes Augen ohnehin eher Peripherkompetenzen der anwesenden Managerriege und so wurde auf dem Podium enthusiastisch über modern klingende Einzelaspekte wie Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten sowie flache Führungshierarchien oder voranschreitende  Automation und Digitalisierung gesprochen, ohne all diese Teilaspekte in einen größeren humanistischen Zusammenhang zu stellen, den Bergmann damals so trefflich vorgedacht hatte. Und so diskutierte man in der Tunicht&Gut GmbH lieber Home Office-Modelle, die Gestaltung von hippen Coworking Spaces oder aber auch die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten mit zunehmender Automation. Insbesondere die Digitalisierung der Arbeitsplätze und Prozesse hatte es der Community angetan und wurde geradezu kultartig zum Selbstzweck erhoben. „Wenn du einen scheiß Prozess digitalisierst, hast du einen digitalen Scheißprozess!“ raunte Schulze Hugenschmidt in die Ohrmuschel und bemerkte, wie ihm langsam der Kamm schwoll. Nun wurde auf dem Podium das Thema KI strapaziert und die beiden Qualitätsoffiziere lauschten angestrengt einem in die Jahre gekommenen Professor, der die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz und ihrer industriellen Anwendungen aufzeigte. Mit erhobenem Zeigefinger faselte der Tattergreis etwas von klassischen Verlierergruppen, wie Büro- und Sekretariatskräfte, Hilfskräfte der Zustelldienste und der Lagerwirtschaft, Servicekräfte in der Gastronomie sowie Verkäufer, die mittelfristig als erste durch Automation und Digitalisierung wegrationalisiert würden. Schulze blickte nachdenklich ins Plenum. Wie war es eigentlich um seinen eigenen Arbeitsplatz bestellt? Wie würde die digitale Zukunft eines Qualitätsmanagers aussehen? Würde er eines Tages durch einen dauergrinsenden Qualitybot mit ISO-festen Algorithmen abgelöst oder war dies eher ein utopisches Szenario? Noch vor wenigen  Jahren wäre er vermutlich in schallendes Gelächter ausgebrochen, doch die digitale Wahrheit kroch unaufhaltsam durch alle Ritzen des Unternehmens. Nur die personalen Kompetenzen sowie die flexible Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit hatte man wohl den siliziumhaltigen Blechbüchsen noch voraus und so würde es bei intra- und interpersonellen Aufgaben wie Qualitätsmanagement wohl auch in Zukunft eher auf ein Miteinander als ein Gegeneinander hinauslaufen. Schulze fühlte sich mit einem Mal ermahnt, genau jene (noch) einzigartigen menschlichen Fähigkeiten, wie kontinuierliche Selbstreflektion, moralisches Abwägen von strittigen Situationen, die empathische Kommunikation oder das Treffen von Entscheidungen mit Augenmaß stärker in den Vordergrund seiner Arbeit zu rücken...

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Erzählungen eines Abenteurers von den unberechenbaren Mysterien des Qualitätsmanagements.